Wie bekamen wir Malschenberger den Uznamen Grashexen?

Malsch am Berg ist laut Chronik eine Tochtergründung von Malsch. Anno 1364 besiedelten 19 Bürger*innen aus Malsch die Nordseite des Letzenbergs und bauten sich ihre Häuser rund um die Apollonia Quelle. Immer mehr Familien machten sich über den Berg, sodass bis 1700 die kleine Siedlung etwa 300 Einwohner zählte. Der Streit um den harten Kriegsfron und diverse „Herrschaftsleistungen“, die zum größten Teil zu Lasten der Malschenberger gingen, wurde zwischen den beiden Ortsteilen immer aggressiver. Die Neusiedler drängten auf Trennung, die aber erst nach zäher Verhandlung vollzogen werden konnte und vor dem Amtsgericht Wiesloch am 24. Mai 1814 zur Gemeindegründung führte. Am 12. November 1814 eigneten sich die friedliebenden Malschenberger ihr eigenes Gemeindesiegel mit der Jahreszahl 1814 und der Portugiesertraube für insgesamt 9 Gulden und 14 Kreuzer ordnungsgemäß an. Bei der Zustimmung zur Teilung wurde den Malschenbergern alles in allem nur 474 Morgen Ackerland zugeteilt, was viel zu wenig war, um ihre Kühe oder Ziegen im Stall satt zu bekommen. Das Hauptnahrungsmittel Milch fehlte damals besonders den kinderreichen Familien. Aber woher das Futter nehmen, wenn die eng begrenzte Parzelle mit anderem Gemüse bepflanzt war? Also gingen die treusorgenden Mütter, Tanten oder älteren Töchter in aller Herrgottsfrühe zum Futterholen. An allen Rainen, Feldwegen und an der Gemeindegrenze wuchs saftiges Gras. So lag die Versuchung zum Greifen nahe. Der damalige Malscher Feldschütz lag noch in seinen Träumen, als die scharfen Sicheln das taufrische Gras blitzschnell abschnitten. Das große Grastuch, welches gut gestopft war, trugen die resoluten Frauen stolz und sicher heim zu ihrem Vieh, welches sich bereits hungrig durch lautes Gemeckere bemerkbar machte.

Der Feldschütz (jeder Ort hatte seinen eigenen Feldschütz) entdeckte nach seiner ausgiebigen Nachtruhe, dass einige Stellen im Jungen Kleeacker, der dicht an der neuen Gemeindegrenze lag, frisch abgegrast waren. Er schimpfte und fluchte mit den Worten: „Des war wiider sou e Malscheberger Grashex! Wann ich die emol vawisch, die kann ebbes erlewe“. Erwischen konnte er niemals eine, es sei denn, er hat sie später zur Ehefrau genommen.

Nach der Trennung von Malsch mussten die Leute hart arbeiten. Fleiß, Mut und Gottvertrauen waren ihr Credo. Aber immer noch zogen sie den Kürzeren, denn sie waren noch nicht von kommunaler und kirchlicher Verwaltung durch die Malscher befreit. So war Malsch beispielsweise für den Seelsorgebereich zuständig. Bis ins 20. Jahrhundert wurden Taufen, Erstkommunion oder auch Hochzeitenin der Pfarrkirche St. Juliana in Malsch vollzogen. Beim sonntäglichen Kirchgang mussten die Malschenberger Gläubigen im hinteren Teil der Kirche Platz nehmen. Der vordere Teil mit Altarraum war Privileg der Malscher. 1869 bauten sich die fleißigen Malschenberger unter großen Opfern und Anstrengungen eine Kirche, die dem Kirchenheiligen St. Wolfgang geweiht und erst 1945 zur Pfarrei erhoben wurde.

Als Schulhaus diente das damalige Rathaus in der Letzenbergstraße 15., in dem nur die Erstklässler unterrichtet wurden. Die weiteren Klassen mussten zum Unterricht nach Malsch. 1878 erbaute man in der Keltergasse, heute Am Hang, das Schulhaus.

Bis 1945 war es noch Schulpflicht, dass Mädchen der 8. Volksschulklasse nach Malsch gingen, um sich im Fach Haushalt lehren zu lassen. Ältere Mädchen gingen freiwillig in die Nähschule, die von Nonnen geleitet wurde.

Beim abendlichen und manchmal auch nächtlichen Heimweg erzählten sich die Mädchen lustige Geschichten, um die Angst vor der Dunkelheit zu vertreiben. So soll nach mündlicher Überlieferung einem Malschenberger Mädel am ersten Letzenbergweg eine schwere Holzkiste den Weg versperrt haben, auf dem ein feuriges Männlein saß. Voller Angst rannte sie nach Hause und erzählte es der Mutter. Beide gingen zurück, um nachzuschauen, aber nichts war mehr zu sehen. Die Mutter erklärte ihrer Tochter, sie hätte ihre Schürze über die Kiste und den Feuerteufel werfen sollen, dann hätte sich eine Kiste voller Goldstücke geöffnet. Aber nun öffnet sich die Kiste erst wieder in 100 Jahren. Ich weiß mit meinen 94 Jahren, dass Jedermann diese „Goldstücke“ finden kann. Sie sind gleichbedeutend mit der Liebe zur Heimat und der Treue zur Überlieferung.

In früherer Zeit haben viele Einheimische das Wort Grashexe als Beleidigung aufgefasst, doch heute sind wir stolz darauf, denn Not macht schließlich erfinderisch. Seit 1983 haben wir eine Laienspielgruppe, die mit ganzem Herzen dabei ist, das Erbe unseres Dorfes in Ehren zu halten. So wurde aus den räuberischen Grashexen ein überregionales Grashexentheater, an dem sich viele Menschen alljährlich erfreuen, darunter auch viele Malscher.

Ludwine Müller